An einer Tanke in einer westdeutschen Großstadt, ich noch nicht ganz zwanzig, gegenüber einem Hotel. Hunderte Transaktionen am Tag, tausende die Woche, fast alle laufen neutral ab und hinterlassen selten einen Eindruck.
Früh in der Spätschicht kommen Hotelbewohner, meistens Geschäftsreisende, fast alles Männer, in ihren VW Passats in schwarz oder grau, in guter Kleidung die sie schlecht tragen, sehen müde aus. Guten Tag, einmal die vier, Tankkarte der Firma. Danke, danke auch, tschüss. Oder genervte Menschen, auf dem Weg in den Feierabend, die dennoch den Anstand haben, hallo und danke zu sagen, Arbeiter und Beamte, Angestellte und all der Rest, einmal die drei, Siebenunddreißig-Fünzig bitte, Kasse auf, Restgeld raus, schönen Abend noch.
Nachts kommen dann Jugendliche die Energy-Drinks kaufen, Druffis und Alkis und Nachtschichtler, Reinigungspersonal vom Hotel gegenüber, und zu absolut jeder Tages- und Nachtzeit, Raucher die völlig unerwartet Kippen brauchen und exakt eine Schachtel kaufen, als wäre es kein alltägliches Ritual, Dosierung als Suchtbewältigung. Diebe gab es selten, denn überall waren Kameras, und nur einmal erwische ich einen, und muss nur “lass den Scheiß” durch den Laden rufen, dann stellt er die Dose, die er sich gerade in die Hose stecken wollte wieder ins Regal und geht weg, so ganz ohne Eile und ohne eine Spur von Scham.
Ich machte den Job ganz gern, nur der permanente Benzingeruch reizt irgendwann die Nase und der direkt Kundenkontakt konnte zermürbend sein. Besonders für einen relativ jungen Mann der sich irgendwie mehr vom Leben erhofft und in seiner Mindestlohnanstellung sein eigenes Versagen reflektiert findet.
Die Frühschicht übernimmt meist der Chef selbst, denn dann kommen die Tanklaster, der Laden wird geöffnet, und er hat neben der Kasse Zeit für Papierkram, bis es um sechs etwas hektischer wird. Der Chef ist ein korrekter Typ der die Tanke schon lange führt und der von nichts anderem redet als von der Zeit, als die Tanke noch unabhängig war, sein eigenes Geschäft, das er dann irgendwann an eine Kette verkaufen musste, aber weiter führen durfte, trotz schwerer Krankheit.
In der Mittagsschicht, von sieben bis eins, arbeite ich oft mit einer geistig eingeschränkten Single-Mutter, die nicht arbeiten müsste aber es gerne tut. Morgens bringt sie ihren Sohn mit und sagt ihm er müsse auf Ina warten, und manchmal korrigiert ihr Sohn sie, denn Ina heißt gar nicht Ina, sondern ist seine Integrationskraft und INA ihre Bezeichnung, wofür auch immer das A steht, und sie begleitet ihn in der Schule. Mittags bringt sie ihn dann zurück, und meine Kollegin ist immer etwas hyper wenn sie ihren Sohn sieht, und ich sag immer: “komm, mach Feierabend, ich mach das hier schon”, immerhin hätte ich als kleiner Kerl auch nicht an der Tanke abhängen wollen. Dann stemple ich etwas später für sie aus, unser geheimes Ritual, von dem der Chef längst weiß, und welches er längst abgesegnet hat.
Ina gefällt mir auf jeden Fall ganz gut, und ich rede mir ein, dass sie sicher ein empathievoller Mensch ist, muss ja, bei ihrem Job, also kann ich nur weich fallen, und nach ein paar Wochen fasse ich mir ein Herz, und nachdem sie den Jungen absetzt spreche ich sie kurz an. Das erste Mal in Monaten, dass ich mich sowas traue. Hast… hast du mal Lust was zusammen zu machen, und noch während der Frage fällt mir ein, dass sie mich ständig an der Tanke sieht, dass ihr aufgefallen muss, dass ich kein Student bin der sich was nebenher verdient, sondern ein Versager, der denselben Job macht wie die geistig eingeschränkte Mutter ihres Bezugskindes, dass sie zu unserer Schicht eine professionelle Distanz hat… Und ihr vernichtendes “nein danke”, das bestimmt neutral und höflich gemeint war, bestätigt mich in all meinen Unsicherheiten.
Irgendwann bekommen wir einen neuen Chef, der unseren kleinen Arbeitszeitscam sofort unterbindet, und ich merke, dass es Zeit ist, weiterzuziehen. Unterm Strich, kein übler Job.
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