An
meinem ersten Arbeitstag im Callcenter führte mich der Teamleiter herum
und jeder der gerade nicht im Telefonat war stellte sich höflich vor.
Fast keinen der Namen habe ich anfangs behalten, Utes Namen aber schon.
„Das ist die Ute. Ne echt gute!“ Ein Witz, der schon beim ersten Mal
wohl nicht lustig war, aber er wurde nie müde ihn zu wiederholen und Ute
wurde nie müde schallend darüber zu lachen.
Schallend lachen, das konnte sie. In so manchem Telefon das ich
führte sprachen die Kunden mich darauf an. „Da hat aber jemand Spaß“
oder „Die Dame klingt aber herzlich!“ und immer war Ute der Auslöser,
die alles lustig fand.
Und Muffins oder Brownies oder Kekse für das ganze Team, die brachte sie
auch immer mit.
Ihr Schreibtisch war als einziger richtig geschmückt. Geschmückt von
Snickers-Verpackungen, von einem Kaktus, von Bildern ihres Sohnes, von
leeren Brötchentüten, Geschirr und Besteck, von einer Porzellanfigur die
von vorne wie eine Katze und von hinten wie ein Penis aussah – eine
schier unendliche Quelle an Witzen für Ute und den Teamleiter, von einem
USB-Ventilator und einem USB-Wärmekissen und vielen anderen Geräten,
die eindrucksvoll zeigen, wie U eigentlich so ein SB sein kann.
Im Pausenraum ging es dann völlig ab, da legte sie einen Schalter um,
da konnte sie alle Hemmungen loslassen, da konnte sie richtig sie
selbst sein. Der Teamleiter brachte einen Witz und meist brach Utes
explosionsartiges Lachen noch lange vor der Pointe aus ihr heraus. Und
wehe dem, der eine Banane essen wollte. Je nach Laune war das entweder
der Anlass für einen Peniswitz, einen Veganerwitz, oder einen „biste
etwa auf Diät?“-Witz.
Wie schade, bemerkte sie mal, dass ich nicht Mirko heiße, denn dann
hätte sie einen super Spitznamen für mich, Mikro nämlich, weil ich so
klein sei. „Jepp, aber ich heiße ja nicht Mirko.“ Was hatten wir Spaß
zusammen. Ein Kollege hieß Max und hatte schon mit Anfang 20 eine
Glatze, und irgendwann fing sie an ihn Maximilian zu nennen, und niemand
verstand den Witz, bis sie eines Montages – natürlich im Pausenraum –
anfängt ihn „Leukemilian“ zu nennen, weil Krebs, und er hat ja keine
Haare, und fast niemand lacht, aber das ist okay, denn die gute Ute
lacht für alle mit. Die eigenen Witze sind doch die besten.
Je nach Vertrautheit mit den Kollegen gingen die Witze teils tief
unter die Gürtellinie. Zum Teamleiter, dem Micha, ihrem besten Freund im
Büro, war sie besonders brutal. Sein wunder Punkt: eine schmerzhafte
Scheidung, die ihm vor kurzem Kind und Kegel gekostet hatte. Aber Ute
ist eine Gute und hat immer tröstende Worte parat: „Keine Sorge[sie
kichert, muss Luft holen], sie hat den Neuen bestimmt nur genommen [ihre
Lippen zu einem riesigen Grinser verzogen, es folgt ein Ulk der
seinesgleichen sucht] weil er einen viel größeren Penis hat!“
Und hat sie mal einen wunden Punkt gefunden, lässt sie so bald nicht los:
„Hey Micha“ ruft sie später quer durchs Büro, und in mir zieht sich
schon alles zusammen. Jetzt kommt es wieder. Das schwerfällige,
gekünstelte Setup. „Sag mal, sind eigentlich gerade Schulferien in NRW?“
Sie kann sich kaum halten, ihr immenser Körper zittert vor
unterdrücktem Lachen. Der als Punchline getarnte, abmahnungswürdige
HR-Verstoß. „Ach ne, sowas muss dich jetzt ja nicht mehr
interessieren!“. Der traurige Versuch des Teamleiters, humorvoll Retoure
zu geben. „Ich werf dir gleich den Tacker annen Kopp!“
Und so macht sie ihre Witze, und jede Grenze darf überschritten
werden, denn Humor ist Humor, und bei uns geht man ja nicht zum Lachen
in den Keller. Außer natürlich über ihr Gewicht, das würde zu weit
gehen. Aber Scheidung, Pener, Krebs, Pener, Veganer, Fisting, Pener,
Politik und Religion – das gehört natürlich alles an den Arbeitsplatz.
Denn bei uns ist man eine Familie, und die Ute, datt is‘ ne Gute.
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