Mai, irgendwann um 2007 rum. Die neunte Klasse und damit
meine Schulzeit neigen sich dem Ende zu. An einem lauen Abend hänge ich mit
meinem Freund Kevin am späten Abend auf einem Kinderspielplatz herum. Nur die
Schaukeln, auf denen wir sitzen, sind noch halbwegs intakt.
Das Klettergerüst ist beschmiert mit amateurhaftem Graffiti,
die Rutsche hat einen dicken, braunen Streifen in ihrer Mitte. Rost, hoffe ich.
Der Sand ist voll mit Kippen, überall liegt Müll. Kinder spielen hier selten.
Kevin hat bereits seine dritte Dose Kölsch geleert, fängt
die vierte an, ich bin noch bei der zweiten. Für unser Alter sind wir sehr
nostalgisch und fangen jedes neue Thema mit der Phrase „weißt du noch?“ an. Während
wir in Erinnerungen schwelgen und uns Geschichten erzählen, von denen wir beide
wissen, dass sie völlig übertrieben sind, aber es aus Respekt vor dem anderen
nicht aussprechen, wird es dunkel. Irgendwann legt sich Kevin in den Sand und
fängt zu schlafen an. Ich sitze weiter auf der Schaukel, nippe zwischendurch an
meinem Bier und genieße das absolut perfekte Maß an Beschwipstheit.
„Was macht ihr denn hier noch?“ fragt eine Mädchenstimme,
und plötzlich bin ich wieder hellwach. Nora aus der 9c. „Ähm, nix“ sage ich,
und hoffe inständig, dass ich dabei cool und gleichgültig wirke. „Geht’s deinem
Freund gut?“ fragt Nora. „Ja der pennt nur.“
Was trinkstn da, fragt sie, und ich sage Bier. Biete ihr
einen Schluck an. Mit einem Blick auf Kevin verneint sie. Ich hoffe sie denkt,
ich habe meinen Teil zu den vier Dosen beigetragen, die um Kevin herum verteilt
sind. Hoffe sie vergisst für einen Moment, dass wir im selben Jahrgang sind.
Hoffe dass sie mich für erwachsen und draufgängerisch hält. Hoffe, dass sie sich
nicht mehr daran erinnert, wie ich in der Dritten mal wegen Durchfall von der
Schule abgeholt werden musste.
„Weißt du schon, was du nach der Schule machst?“, fragt
Nora.
„Noch keine Ahnung. Hab mich beworben, aber bisher noch
nichts. Du?“
„Erstmal noch ein Jahr Schule, für Real“, sagt Nora. „Hmm“, sage
ich und bin etwas traurig, dass meine Noten nicht für die Quali gereicht haben.
Wir reden noch ein bisschen, Nora sitzt auf dem Rad, raucht
eine Zigarette, mein zweites Bier neigt sich dem Ende zu. Die Schwelle der
angenehmen Beschwipstheit habe ich hinter mir gelassen. Ich bemühe mich um
einen gleichgültigen Ton und frage irgendwann, mit all dem Charme eines betrunkenen
Teenagers der nachts auf einem Kinderspielplatz billiges Aldi-Dosenbier trinkt:
„Kannst mir deine Brust zeigen?“
Nora lacht. Die linke oder die rechte, fragt sie. Ich muss
knallrot geworden sein. Ich bete, dass Kevin nicht aufwacht und stammle vor
mich hin… „ähm, die rechte?“ und weil ich das für höflich halte: „Bitte?“
Nora steckt sich von oben die Hand ins Top und zieht sie sofort
wieder mit erhobenem Mittelfinger raus. „Schön, oder?“. Ich sterbe innerlich
und versuche, mir nichts anmerken zu lassen. „Haha, ja“. Die nostalgische,
gemütliche Stimmung habe ich damit ruiniert. Nora bleibt nicht mehr lange. „Wenn
sich das rumspricht…“ denke ich kurz, bis mir einfällt, dass die Schule eh bald
enden wird.
Irgendwann schwinge auch ich mich auf mein Rad. Während ich
nach Hause radle, denke ich an Nora und daran, dass ich die Schule vermissen
werden und frage mich, ob ich nicht irgendwas vergessen habe.
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