Wir kannten uns schon vom Jobcenter. Einmal hatten wir uns
auf dem Flur der Arge getroffen und uns unterhalten, einmal waren wir zusammen
in einer Maßnahme. Das dritte Treffen war bei Edeka. Ich war einkaufen, sie
räumte als 1-Euro-Jobberin Regale ein.
„Wollen wir mal was zusammen machen?“ frage ich. Vier Wochen
später zieht sie bei mir ein. Unsere Wohnung ist winzig. Eigentlich könnten wir
vom Amt eine größere bekommen, aber wir fühlen uns wohl. Eine
Souterrain-Wohnung mit kleiner Terrasse, einem Wohnraum, einer ranzigen Küche
und einem Duschbad. Die Enge der Wohnung bringt uns Nähe.
Plötzlich gefällt mir mein Leben, trotz Mangel an
Fortschritt. In der Anfangszeit verlassen wir das Bett kaum. Manchmal rauchen
wir nach dem Sex auf der Terrasse, weil wir das so aus Filmen kennen. Dabei
reden wir dann über die Dinge, die wir so machen werden. Ich wäre gerne
Lagerist, Domi möchte Kauffrau werden. Dann ziehen wir aufs Land, arbeiten bei
einem großen Edeka und kaufen einen Hund.
Die 700 € oder so, die wir als Bedarfsgemeinschaft haben,
reichen uns locker und bei unserem wöchentlichen Lebensmitteleinkauf, für den
wir uns alle Zeit der Welt nehmen, kommen wir uns wie Könige vor. Irgendwann
kaufen wir uns eine gebrauchte Waschmaschine und schieben sie auf einem
Rollbrett durch halb Köln. Ich merke, wie wir angestarrt werden und ich merke,
wie egal es mir ist. Wir sind jung und verliebt, scheiß drauf was die Leute
denken. Als abends die Waschmaschine, die gefühlt die Hälfte unseres kleinen
Duschbades einnimmt, ihre ersten Runden dreht, sitzen wir mit meinem besten
Freund, einem Klempner, in unserem Wohnzimmer und trinken Bier. Noch heute kann
ich mich daran erinnern, wie dankbar und optimistisch und verliebt und
unbeschwert ich war.
Zwei Jahre später. Langsam aber sicher nimmt unsere
Bequemlichkeit überhand. Wir werden fetter, Domi raucht mehr und mehr, lässt
ihre Hygiene schleifen. Ich spiele WoW wie einen Vollzeitjob, kann an nichts
anderes mehr denken und über nichts anderes mehr reden.
Ich höre auf zu lesen, werde ungeduldiger. Höre auf, Rad zu
fahren. Unsere Gespräche werden stumpfer.
Bewerbungen werden seltener.
Sex wird seltener.
Gemeinsame Einkäufe werden seltener.
Während ich zocke, schaut sie fern. Sieben, acht, zehn
Stunden am Tag. Irgendwann hört sie auf, zum Rauchen rauszugehen. Unser Wohn-
und Schlafraum stinkt wie eine Kneipe.
Die Nähe fühlt sich beengend an.
Sie bricht drei Ausbildungen ab, ich bekomme nicht einmal
eine Stelle. Unsere Misserfolge nehmen wir uns gegenseitig übel. Irgendwie ist
jeder von uns überzeugt, dass der andere der größere Versager ist.
Ich hätte sicher nie eine Lehre abgebrochen, werfe ich ihr
vor.
Wenigstens habe ich schon eine Lehre angefangen, wirft sie
mir vor.
Über unsere Träume reden wir gar nicht mehr. Ständig pumpen
ihre Eltern mich um Geld an. Wollen mir tolle „Investments“ verkaufen. „Du hast
doch Geld!“ sagen sie und spielen damit auf ein paarhundert Euro auf meinem
Sparbuch an. Je später im Monat, desto toller ist das „Investment“. Irgendwann gebe ich mein Geld für eine Gitarre aus und höre nie wieder von ihnen.
Langsam aber sicher wird WoW immer schlechter. Meine Lieblingswelt verändert
sich dramatisch, jede Nostalgie geht verloren. Meine virtuellen Freunde
verschwinden, finden neue Hobbys, gründen Familien oder starten Karrieren. Mir
wird die Zeitverschwendung immer schmerzhafter bewusst. Nicht meine Sucht
bessert sich, meine Lieblingsdroge existiert schlicht nicht mehr.
Einen Monat bevor ich Domi verlasse und meinen ersten
richtigen Job finde, logge auch ich mich zum letzten Mal aus.
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