Ich gebe auf: die absurden „Investments“ meiner Schwester

Den folgenden Eintrag habe ich ursprünglich vor etwa neun Monaten auf Reddit (r/finanzen) gepostet. Da bald ein Update ansteht, möche ich ihn auch hier verewigen:

_____

Moin moin,

wenn man in der bildungsfernen Schicht aufwächst, erlebt man
vielfältige finanzielle Fehlschritte, die den durchschnittlichen
BWL-Justus hier ordentlich triggern würden, aber meine Schwester hat
jetzt den Vogel abgeschossen und ich bin nicht mehr bereit, ihrer
Familie in irgendeiner Art finanziell zu helfen.

Ihre Familie:

Schwester, 35, bis Ende 2020 Hotelangestelte, zwischendurch kurz Teilzeit, ab März Hartz 4.
Neffe, Kyle-Jeremy, Name leicht abgeändert, 6, Kind
Schwager, 25, Koch

Ihr „Onlinehandel“

Fangen wir chronologisch an. Weihnachten, ich glaub 2018. Ich fahre
an Weihnachten mit der Bahn nach Hause. Lebe zu der Zeit von
Schülerbafög, spare seit Oktober auf das Ticket. Schwester deutet den
ganzen Tag an, dass sie jetzt Kohle hat. Vater wittert Geld und hakt
nach. Schwester erzählt, dass sie jetzt mit iPads handelt. Ich denke mir
meinen Teil, die wird sie wohl halblegal irgendwo kaufen und ein wenig
Gewinn damit machen, mir doch egal. Irgendwann kommt der Spruch: „Wir
kaufen uns bald einen BMW und du musst auf den ersten warten um den
Fahrradschlauch zu wechseln, hahahahaha“. Ihr Mann guckt nur traurig.
Einen BMW kann sich der frisch ausgelernte Koch sicher nicht leisten.

Ihr tatsächliches Geschäft war noch viel dümmer als ich es mir je
hätte vorstellen können. Meine dämliche Schwester hat es geschafft, acht (8!!!!)
Mobilfunkverträge abzuschließen. Auf Fantasienamen, auf Kyle-Jeremy,
auf ihren Mann, auf „Schwetser“ statt Schwester, you get the gist. Die
daraus resultierenden iPads hat sie dann wohl bei Facebook vertickt. Die
guten Bewertungen dann genutzt, um weitere, imaginäre iPads zu
verkaufen.

Mehrere Anzeigen wegen Betruges und Urkundenfälschung kassiert. Schuldenstand heute: 25.000 €.

Ihr „Aktienhandel“

Jahr 2020. Der 2002er BMW steht vor dem Haus meiner Eltern als ich
ankomme. Schwester und Schwager, zu zweit vier Stühle einnehmend, sitzen
meinen Eltern gegenüber. Vier Menschen rauchen, Kyle-Jeremy sitzt auf
dem Boden und spielt. Es geht um Geld. Ich höre mir den Pitch nichtmal
an, sag Mama und Papa die dürfen auf keinen Fall investieren, was auch
immer denen vorgeschlagen wird. Es folgt die dümmste Episode von
Dragons‘ Den, und ich bin Jenny Campbell.

„Wir kaufen jetzt Tesla Aktien“

„Was kostet das?“

„Paar tausender“

„Habt ihr das?“

„Ne, aber wir wissen woher wir das bekommen. Retourenkisten. 40 €, manchmal sind da Laptops und iPhones drin.“

„Echt jetzt?“

Mutter guckt auf: „Ja, das hab ich mal bei Facebook gesehen, eine Frau hatte eine PS5 drin.“

„Ja, wir brauchen nur 40 €. Oder genug für zwei. Also… 80 wären das. Oder 3. Also… na ja 3 x 40 halt.“

„Ja und wenn nur eine davon voll mit iPhones ist können wir uns Aktien kaufen.“

Die vier legen zusammen, haben gerade genug Kohle für eine
Retourenkiste. Die 40 € sind komplett verloren, nichts lässt sich
verkaufen.

Rebuy

Ich warne euch, jetzt wird es deprimierend.

Bisher hatte ich immer noch ein wenig Verständnis für meine
Schwester. Sie hatte kein Glück mit dem Elternhaus, hatte es schwer in
der Schule, hatte dämliche Freunde. Die Schuldenlast ist enorm und das
Einkommen der Familie ist so gering, dass die nie auch nur ein Prozent
davon zurückzahlen werden. Ich hab immer mal wieder Kleinigkeiten für
Kyle-Jeremy gekauft, mal deren Kühlschrank gefüllt und immer versucht,
zu beraten. Aber jetzt reichts.

Weihnachten. Die gleiche Leier wie immer. Schwester und Schwager
kaufen dem Kind irgendwas, das sie sich nicht leisten können und das
eigentlich für die Eltern ist. Bescherung ist zusammen mit unseren
Eltern und mir. Das Kind bekommt so eine Amazon Abhörwanze. Was zur
Hölle soll das Kind damit? Sie „spielen“ fünf Minuten damit, das Kind
sagt Alexa irgendwas, Alexa reagiert, man lacht kurz, Spaß vorbei, jetzt
können die Eltern noch fauler sein.

Ich schenke dem Kind ein paar kindergerechte Bücher, die ich in
seinem Alter gelesen habe. Größtenteils gebraucht, sind Bücher die ich
für mich selbst kaufe auch meistens. Während Kyle-Jeremy in der schönen,
bebilderten, älteren Ausgabe von „Kleiner König Kallewirsch„, mein
Lieblingsbuch aus der Vorschulzeit, blättert, fällt daraus ein
getrocknetes Blatt. Ich werde nostalgisch weil ich an die Zeit denke, in
der ich selbst schöne Ahornblätter in Büchern getrocknet habe, um der
Sachkundelehrerin zu imponieren.

Meine Schwester regt sich auf, dass ich ihrem Sohn „so gebrauchten
Müll“ schenke. Noch WÄHREND der Bescherung zückt sie das Handy ihres
Mannes und scannt die Barcodes. Ich frag was das soll, gib doch dem Kind
die Bücher. Schwester sagt, der kann die ja an Weihnachten lesen und
zwischen den Tagen „wenn die durch sind“ kann sie die an Rebuy schicken.
Warenwert: < 10 Euro.

Mir bricht das Herz. Ich fahre noch an Heiligabend in meine Einzimmerbude zurück.

Sorry Kyle-Jeremy, ich bin fertig mit deiner Familie.


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Kommentare

4 Antworten zu „Ich gebe auf: die absurden „Investments“ meiner Schwester“

  1. Avatar von Markus

    Ich ziehe den Hut- ich dachte immer,meine Familie wäre Mist,aber Holy Shit man, das ist ja echt hart.
    Ich freue mich sehr für dich, dass du dich da raus kämpfst.

  2. Avatar von Anonym
    Anonym

    Schwetser mag wohl keine Bücher 🙁

  3. Avatar von Anonym
    Anonym

    Ich dachte das mit den Retourenkisten ist generell Abzocke. Kommt da echt Ware bei einem an?

    1. Avatar von Assi Toni
      Assi Toni

      Ne das ist quasi fast immer Betrug

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